Politische Diskurse

Neue Personalbemessung in der Pflege: Das Rothgang-Gutachten

Wissen

Im Rahmen der 2018 ausgerufenen „Konzertierten Aktion Pflege“ (KAP) haben die drei Bundesministerien BMG, das BMFSFJ und das BMAS 2020 ein wissenschaftlich fundiertes und teilweise erprobtes Verfahren zur Personalbemessung in der vollstationären Pflege vorgestellt. Bisher fehlte eine bundeseinheitliche Regelung zur Ermittlung des Personalbedarfs. Das beauftragte Forschungsteam um Prof. Heinz Rothgang vom SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (Universität Bremen) legte nun den Abschlussbericht zur Entwicklung und Erprobung eines Personalbemessungsverfahrens für Pflegeeinrichtungen nach § 113c SGB XI (PeBeM) vor.

Ziel des neuen Personalbemessungsverfahren, das im Juli 2023 in einem Modellversuch starten soll, ist es „bundeseinheitliche, verbindliche Maßstäbe für eine Personalbemessung zu etablieren“ und dadurch eine „qualitativ und quantitativ am Versorgungsbedarf der Pflegebedürftigen ausgerichtete Personalausstattung der Pflegeeinrichtungen“ zu gewährleisten.

ZUM ABSCHLUSSBERICHT des Projekts PeBeM

Wie wird der Personalbedarf ermittelt?

Zur Ermittlung des Personalbedarfs für die vollstationäre Altenpflege wird die Anzahl und Qualifikation der Pflegekräfte zu der Zahl der Bewohner und deren Pflegegrad ins Verhältnis gesetzt. Um eine fachgerechte Pflege sicherstellen zu können, soll sich der Personalrichtwert am tatsächlichen Bedarf der jeweiligen Einrichtung orientieren. Einrichtungen, die Patienten mit höheren Pflegegraden (4-5) versorgen, benötigen auch mehr Pflegefachkräfte. Der Pflegebegriff soll(te) dabei eine wesentliche Rolle spielen.

Die bisherigen Regelungen waren in Bezug auf die Personalrichtwerte bundeslandspezifisch sehr unterschiedlich. Sie wurden von den Landesverbänden der Pflegekassen und den Trägern der stationären Einrichtungen ausgehandelt. Allen gemeinsam war, dass eine Fachkraftquote von 50 Prozent eingehalten werden sollte, d. h. 50 Prozent des Personals in einer stationären Einrichtung müssen Pflegefachkräfte sein.

Das Team um Prof. Heinz Rothgang ermittelte in 62 Pflegeeinrichtungen die Daten von 1.380 Bewohnern. Dabei wurden über 140.000 Interventionen erfasst. Interventionen sind praktische Pflegehandlungen, die nach bestimmten Kriterien dokumentiert und analysiert wurden.

Aus den Ergebnissen entwickelte die Forschungsgruppe einen Algorithmus, der, abhängig von der Anzahl und dem Pflegegrad der Bewohner, die Zahl der Pflegekräfte ermittelt, die nötig sind, um eine angemessene und gute Pflege zu gewährleisten  (https://www.uni-bremen.de/universitaet/hochschulkommunikation-und-marketing/aktuelle-meldungen/detailansicht/personalbemessung-wieviel-und-welches-personal-braucht-gute-pflege).

Nach dem neuen PeBeM-Verfahren nach Rothgang soll der Personalmix für Pflegeeinrichtungen einrichtungsbezogen aus dem Case-Mix (Anzahl der Bewohner/Pflegegrad) und dem Care-Mix (erforderliche Personalmenge in vier Qualifikationsstufen) ermittelt werden:

  • QN-Level 1-2: Assistenzkräfte ohne Ausbildung
  • QN-Level 3: Assistenzkräfte mit 1-2jährigen Ausbildung
  • QN-Level 4: Fachkräfte mit mind. 3-jähriger Ausbildung (Pflegefachkräfte)

Dabei werden den einzelnen Qualifikationsstufen kompetenzorientierte Aufgaben zugeordnet.

Ergebnis: Es fehlen vor allem Assistenzkräfte in der Pflege

Die Studie zeigt einen deutlichen Mehrbedarf (im Durchschnitt 36%) an Personal. Würde das Personalbemessungsinstrument umgesetzt, steige der Mehrbedarf auf mehr als 100.000 Vollzeitäquivalente. Bei den Pflegefachpersonen liegt der Personalmehrbedarf bei 3,5 Prozent. Anders sieht es bei den Pflegeassistenzkräften aus - dort liege der Personalmehrbedarf bei 69%.

Nach dem Rothgang-Gutachten fehlen vor allem qualifizierte Assistenzkräfte mit 1-bis 2 jähriger Ausbildung. Es wird ein Qualifikationsmix von 40/30/30 empfohlen: 40% Pflegefachkräfte, 30% Pflegehilfekräfte mit 1-2jähriger Ausbildung und 30% Hilfskräfte ohne Assistenz- oder Helferausbildung.

Wo sollen zusätzliche Pflegekräfte herkommen?

Wie in Zukunft dieser Mehrbedarf an Assistenzkräften (mit und ohne Ausbildung) generiert werden soll, ist noch fraglich. Ein Maßnahmenpaket zur Generierung von 20.000 zusätzlichen Stellen für Assistenzkräfte wurde zwar auf den Weg gebracht. Das nützt aber nur dann etwas, wenn auch die Ausbildung der Assistenzpersonen gewährleistet werden kann. Diese ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Mitunter sollen nun auch berufsbegleitende Qualifizierungen geschaffen werden sowie Teilzeitangebote. Es fehlt aber nicht nur an Ausbildungsstrukturen, sondern auch an Lehrkräften für Pflegeberufe.

Das neue Bemessungssystem soll bis Ende 2025 etabliert werden und weitere Empfehlungen für einen Algorithmus 2.0. gegeben werden (Roadmap zur Einführung eines Peronalbemessungsverfahrens).

Artikel zum Thema

Wie viel und welches Personal braucht gute Pflege? (Universität Bremen) Link 

Die Fachkraftquote geht, der Personalmix kommt - Interview mit Heinz Rothgang (pflegen-online.de)  Link

Personalbemessung in der Pflege: Echte Verbesserung oder nur akademische Übung? - Deutsche Gesellschaft für Qualität (dgq.de) Link

Das Personalbemessungsverfahren nach Prof. Rothgang (Pflegenetzwerk Deutschland) Link

Kabinett beschließt „Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege“ (BMG, Pressemitteilung, 23. September 2020) Link

Videos zum Thema

Neustart Pflege – Wie machen wir die Pflege demografiefest und langfristig finanzierbar? (Hanns Seidel Stiftung) 2021 Link (YouTube) 

Impulsreferat III Prof.Dr. Heinz Rothgang Link (YouTube) 

B2 Personalbemessung: Wie Sie die Rothgang Studienergebnisse umsetzen? KKK2020  Link (YouTube)

Fachkraftquote und neues Personalbemessungssystem. Rothgang im Interview (2019)  Link (YouTube)